Schauspiel nach dem Roman von Karl Philipp Moritz im Depot in Stuttgart
Können Sie sich noch erinnern?
Es muss so in den Siebzigern gewesen sein, als alle Männer plötzlich in ihrer zwölften Pubertät steckten, ihre Analphase nicht ordnungsgemäß hinter sich gebracht hatten oder ständig Misserfolgserlebnisse mit Frauen vorweisen konnten, weil sie von Müttern, Großmüttern, Tanten und so weiter in ihrer frühkindlichen Identifizierungsphase falsch behandelt oder gar abgelehnt wurden.
All diese Männer hatten schon einen Vorgänger – lange vor Freud:
Anton Reiser alias Karl Philipp Moritz
Der schrieb vor 220 Jahren seine Biografie, die im Depot in Stuttgart aufgeführt wird. Nie im Leben hätte ich freiwillig mehr als drei Seiten dieses Buches gelesen.
Sie spielen in der Originalsprache.
Jawoll – sie, denn es sind drei (Thomas Eisen, Sebastian Schwab, Peter Sikorski), die sich diese Person teilen. Dieser Regie-Einfall (Anja Gronau) macht den Reiz aus. Die Pantoffelhelden-Drillige sind vollkommen mit sich selbst beschäftigt und schaukeln sich gegenseitig hoch.
Jammerbüddel, dein Name sei MANN.
Die/Den sehen – und jede Frau kennt nach fünf Minuten nur noch einen Gedanken: „Wie werde ich den Kerl wieder los, möglichst schnell und für immer!“
Ein Bild für die Göttinnen
Herrlich ist die Trainings-Szene, in der sie sich bei einem Gönner einschleimen möchten. Sie üben das vor-ihm-auf-dem-Boden-kriechen:
- Flach auf den Bauch legen,
- Knie anziehen und mit Ellenbogen und Hintern ein Dreieck bilden,
- Arme nach vorn schieben,
- Kopf und Augen auf dem Boden lassen,
- Knie soweit anziehen, dass Ellenbogen flach liegen,
- Hintern…
Auf diese Art raupen sie sich quer durch den Raum, in unterschiedlichen Geschwindigkeiten. Mal der eine, mal der andere, mal zusammen…
Und die Kostüme (Olaf Habelmann) erst, die Kostüüüme!
Einer (Thomas Eisen) trägt eine Sturmfrisur, als ob er gerade aus dem Bett gestiegen ist und nicht weiß, wo sich der Kamm versteckt.
Den anderen (Sebastian Schwab) zieren blaue Strümpfe mit Laufmaschen zu ausgelatschten Plastik-Badeschlappen.
Der Dritte (Peter Sikorski) verkriecht sich in einem Pullover, der sich langsam in seine Bestandteile auflöst. Einen Knäuel mit der aufgerebbelten Wolle hält er tapfer in der Hand.
Die Drei sind so herrlich verloddert, dass nicht einmal ein pathologischer Mutterinstinkt hier greifen würde.
Mein Aufruf an frau insgesamt
und Mädchen, Damen, Weiber, Fräuleins, Herrinnen, Evastöchter, Backfische, Mütter, Gebieterinnen, Bräute, Jungfern, Omas, Donnas, Schwestern, Lesben, Gemahlinnen, Jungfrauen, Weiber, Matronen, Weibsbilder, Gören, Freundinnen, Fürsorgerinnen, Lebensgefährtinnen, Maiden, Kronen der Schöpfung, Hausfrauen, Blaustrümpfe, Mamsellen, Feministinnen insbesondere:
Lassen Sie sich diese Inszenierung nicht entgehen!
Den spielfreudigen Thomas Eisen, Sebastian Schwab, Peter Sikorski macht es so viel Spaß, dass sie sich fast zu vergessen scheinen. Und das Schöne – lehnen Sie sich ganz beruhigt zurück. Sie werden nicht behelligt. Die drei wollen nicht ausbrechen, die wollen nur spielen. Und wenn sie nicht in Selbstmitleid zerflossen sind, so bedauern sie sich noch heute.
Oder sie lesen diesen Buchtipp für Frauen: Die Krone der ErSchöpfung von Chris Boettcher
Skurrile Typen:
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Anton Reiser Schauspiel nach dem Roman von Karl Philipp Moritz
im Depot in Stuttgart
Regie: Anja Gronau
Bühne: Katrin Hieronimus
Kostüme: Olaf Habelmann
Dramaturgie: Frederik Zeugke
Künstlerische Mitarbeit: Marcel Luxinger
Besetzung am 26. November 2008:
Thomas Eisen
Sebastian Schwab
Peter Sikorski