Eine liegende 8 als Zeichen der Unendlichkeit – Infinity – ist das Motto zum 8. Geburtstag von Gauthier Dance am 30. April 2015 im Theaterhaus in Stuttgart.
Gefeiert wird mit 8 Choreografien, davon 4 Uraufführungen. Und für jeden ist wohl etwas dabei – perfekt, lustig, spritzig, nachdenklich, ernst, gruselig. Diese Ballettkompanie beherrscht die Sprache des Körpers. Mit den Mitteln des Tanzes erzählen sie Geschichten.
In Infinite Sixes von Janice Garrett sitzen und stehen die blau gewandeten Tänzer vollzählig in Dreierreihen auf der Bühne. Aber von wegen statisch! Die hellen Arme und besonders die Hände sind ständig in Bewegung – wie Tentakeln von Korallen in einem blauen Meer. Sie schwingen herum in fließendem Wasser, bei hoch schlagenden Wellen oder in einem Strudel.
The black painting von Nanine Linning ist einem düsteren Bild von Goya nachempfunden. Drei Tänzer kauern nackt auf einem Podest, der von unten orangerot bestrahlt wird. Es sieht aus, als säßen sie auf einem (Fege)Feuer. Wie in Schmerzen winden sie sich. Schutzlos sind sie den reptilienartigen Gestalten in schwarzen Kostümen (Gudrun Schretzmeier) ausgeliefert. Fast könnten die glänzenden Kleider nach ausladenden Rokokogewändern aussehen, wirken hier aber wie überdimensionale Gichtknochen, die mal zu einer Seite, mal zur anderen oder beidseitig hervorragen als deutliche Bedrohung. Langsam, manchmal fast kriechend, kesseln sie die hilflosen Personen ein wie eine latente Gefahr. Zu den – in diesem Falle – düsteren Klängen von Arvo Pärt lösen sie Angst- und Beklemmungsgefühle aus.
Floating flowers ist von Po-Cheng Tsai vielleicht ernst gedacht, denn damit verarbeitet er den Tod seines Vaters. Auf die Zuschauer macht dieser Tanz einen eher lustigen Eindruck. Eine anmutige Person mit einem langen Glockenrock bewegt ihre Arme wie eine Blume im Wind. Die Tänzerin erhebt sich und wird länger und länger. Ihr überlanger Rock gibt unten kräftige Beine preis, die tanzen und springen, in Abstimmung mit ihrem grazilen Oberkörper. Was noch wie eine Person mit verlängerter Taille aussieht, entpuppt sich als ein kräftiger Tänzer, der die zarte Tänzerin herum trägt. Beide korrespondieren miteinander und trennen sich in zwei Individuen. Ein bildlicher Vergleich für Verlieren und doch zusammen sein.
In PacoPepePluto von Alejandro Cerrudo fragen sich nacheinander drei Tänzer: „Bin ich schön?“ und beantworten sich die Frage ohne jeden Selbstzweifel. Hüpfend vor Freude und Selbstverliebtheit wissen sie scheinbar nicht, wohin mit ihrer Männlichkeit. Sie beherrschen die Sprache des Tanzes perfekt. Übersetzt heißt das: „Ich bin ein schöner Mann“, „Ich bin ja sooo männlich.“, „Ich bin der sexiest man alive“. Für die anwesenden Damen und bestimmter Herren bildet ihre knusprige Männlichkeit einen Höhepunkt. Die Drei tun so, als bemerkten sie nicht, dass sie beobachtet werden. Jedoch der obligatorische Griff in den Schritt weist mit der Breitseite genau in die richtige Richtung – zu den Zuschauerinnen. Ebenso das ausgiebige Powackeln, das bei den Damen besonders gut ankommt. Ihr Glucksen mag kein Ende nehmen, genau so wenig wie der Applaus.
In Now and now von Johan Inger treffen sich ein Mann und eine Frau, kommen sich näher. Es dauert. Sie machen es sich nicht leicht. Einen Teil des Weges gehen sie zusammen, dann trennen sie sich und kommen doch nicht voneinander los. Sie werden intim, tauschen ihre Identität. Sie trägt seinen Anzug, er ihr Kleid. Sie gehen, eilen, rennen die Infinity-Acht, das Zeichen für Unendlichkeit, bis sie aus der „Unendlichkeit“ herausfliegen. Sie kommen zusammen, jedoch am Ende steht er allein da. Ein nachdenkliches Stück über zwei, deren Individualität zu stark ist, obwohl beide sich bemühen, auf den anderen zuzugehen und sich zu einem Teil selbst aufgeben – vielleicht deshalb?
Ein Mann und eine Frau treffen sich in Two becomes three von Alexander Ekman. Zu der Musik von Frédéric Chopin flirten sie miteinander und kommen sich näher und näher und näher. Bei ihrem Beisammensein, in das sich mit der Zeit etwas Routine eingeschlichen hat, fällt dem Mann von oben ein Baby in die Arme. So ganz glücklich sind die beiden nicht mit dem Geschenk des Himmels, jedoch kümmern sie sich um ihren Nachwuchs und wechseln sich in der Pflege ab. Ein Zeichen für eine gleichrangige Partnerschaft?
Conrazoncorazon von Cayetano Soto zeigt durch Musik und Tanz das Lebensgefühl der Großstädte. In kurzen Hosen, grauem Hemd mit ebensolchen Schlips und Jockeymützen auf dem Kopf schnuppern sie die Luft der Metropolen. Mal reiten sie ein Pferderennen in Paris, mal verfolgen sie sich im Krimi in London.
In Black cake von Hans van Manen trifft sich eine feine Gesellschaft zu einem offiziellen Ereignis. Sie tanzen und benehmen sich, wie es sich gehört. Drei Paare fechten im Solotanz ihre kleineren und größeren Animositäten miteinander aus. Der Abend steht zwar unter dem Motto „infinity“, also unendlich, doch am Ende gibt’s Champagner! Kaum ist der offizielle Teil des Abends erledigt, werden sie mit einem Sektglas in der Hand immer lustiger und ihre Bewegungen unkoordinierter. Sie tanzen in Formation, aber jeder mit seiner eigenen Schlagseite – köstlich!
Eine Produktion von Theaterhaus Stuttgart in Kooperation mit der Schauburg München.
Mit Choreographien von Alejandro Cerrudo, Po-Cheng Tsai, Alexander Ekman, Johan Inger, Nanine Linning, Charles Moulton & Janice Garrett, Cayetano Soto und Hans van Manen
Künstlerische Leitung / Choreograph: Eric Gauthier
Ballettmeister & Stellvertretende Company-Leitung: Renato Arismendi
2. Ballettmeisterin: Takako Nishi
Company Coach: Egon Madsen
Künstlerische Leitung Bühne und Kostüme: Gudrun Schretzmeier
Licht und technische Koordination: Mario Daszenies
Tanz: Sandra Bourdais, Anneleen Dedroog, Maurus Gauthier, Miriam Gronwald, Rosario Guerra, Anna Süheyla Harms, Lisa Kasman, Florian Lochner, Alessio Marchini, Juliano Nunes, Garazi Perez Oloriz, Maria Prat Balasch, Luke Prunty, David Rodríguez
Fotos: Regina Brocke
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