Die Ballett-Kompanie Gauthier Dance feiert in Stuttgart im Theaterhaus ihr 10-jähriges Bestehen mit Choreographien von sieben unterschiedlichen Choreographen.
Ein humorvolles Bühnenstück steuert Eric Gautier bei: „Ballet 102“
Die Tänzer Barbara Melo Freire und Theophilus Veselý setzen gekonnt die 102 Positionen des klassischen Pas de Deux um – nicht zum Mitschreiben, sondern im Sekundentakt. Eric Gauthiers Stimme zählt aus dem Off. Das allein ist schon sehenswert. Dann folgt die Positionen in Zahlen bunt durcheinander. Beide Tänzer reagieren schnell auf Zuruf, selbst wenn einige Zahlen doppelt angesagt werden. Dann wirkt es wie der sichtbare Knax in der Schallplatte – jedoch leicht, virtuos, elegant.
Obwohl Eric Gauthier lediglich einige Eingangssätze sagt und ansonsten Nummern aufzählt, ist er schwer zu verstehen. Scheppernde, hallige, übersteuerte, lautstarke Töne lassen die Worte eher ahnen als wahrnehmen.
Nachmittag eines Fauns – Ballett-Klassiker neu interpretiert.
Zwei Stierhörner ragen nach beiden Seiten der „Narrenkappe“ heraus, die der Faun (Anna Süheyla Harms) auf seinem Kopf trägt. Jeweils ein Ober- und ein Unterschenkel ist sowohl behaart als auch muskulös ausgepolstert. Federnd bewegt er sich mit diesen Sprungbeinen, als liefe er auf einem Gummibelag – immer hin und her. Das stimmungsvolle Lichtdesign von Alain Lortie setzt eine eigene Note, ebenso das ägyptisch angehauchte Tanzen im Profil. Es sieht ganz so aus, als ob er sich langweilt. Als er schließlich einen seiner Hörner abbricht und ihn als Penis einsetzt, lebt er auf. Mit einem plötzlich knallroten Penis probiert er die Funktion an diversen Lichtstrahlen, bis er schlussendlich eine Luftkopulation vollbringt. Die Choreographin Marie Chouinard setzt damit augenzwinkernd die wohl skandalträchtigste Choreographie von Nijinski um – „Prélude à l’après-midi d’un faune“ von Claude Debussy. Statt liebestrunkenen Faun platziert sie die Luftnummer eines pubertierenden Fantasy-Jünglings ans Ende.
Diesen „Nachmittag eines Fauns“ tanzen zur Zeit ebenfalls Mitglieder des Stuttgarter Balletts. In der Oper bekommt der Faun sogar eine Nymphe als Gespielin. Absolut sehenswert sind beide Tanzversionen. In der Oper Stuttgart allerdings spielt die Musik in Echtzeit aus dem Orchestergraben – welch ein Unterschied, wenn Bewegung und Musik eine Einheit bilden!
Quicklebendiges Violoncello
Noch deutlicher macht sich die Schere zwischen Musik und Ballett in der humorvollen Choreographie „Violoncello“ von Nacho Duato bemerkbar. Ein Tänzer (Maurus Gauthier) schwingt als Cellist den Bogen, während dir Tänzerin (Sandra Bourdais) den Part de Cellos übernimmt. Sie dreht sich auf der Spitze, fällt ihm auf, über, nebens Knie und gebärdet sich ziemlich widerspenstig für ein Instrument. Versucht das Cello zu fliehen, hält der Cellist es zurück, streicht energisch den Bogen, aber selten an der richtigen Stelle – genau wie im richtigen Leben eines Cellisten. Aus dem LAUTsprecher ertönt Bachs Suite für Violoncello Solo Nr. 1 G-Dur. Das Cello singt nicht, es poltert und dröhnt. Diese unnatürliche Lautstärke passt absolut nicht zu der zarten Tänzerin mit ihren geschmeidigen Bewegungen. Ihr – und dem Publikum – wünsche ich eine Begleitung mit einem Cellisten, aber in Echtzeit und nicht aus der Konserve.
Sondervorstellung für Schwerhörige?
Die Lautstärke im letzten Stück „Streams“ von Andonis Foniadakis erschlägt den Tanz. Die Musik von Julien Tarride breitet sich derart aufdringlich im Raum aus, dass das Ende schon fast als Erlösung aufgefasst werden kann.
Wie Eric Gauthier anfangs erzählte, hatte er vor 10 Jahren viele Ideen im Kopf, genug Überzeugungskraft und Hartnäckigkeit. Damit fand er Menschen, die an ihn glaubten und ihn bis hierher unterstützten. Vielleicht wird es Musiker in einer ähnlichen Situation geben, mit der gleichen inneren Energie und Unterstützung von außen. Was wäre, wenn exzellente Tänzer und leidenschaftliche Musiker ein unvergleichliches Ensemble bilden? Nicht zu toppen!
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