Ein Ballettabend mit vier Solisten, deren Leben der Tanz war, ist und bleibt. Nach einigen Jahren Ruhepause kehren sie auf die Bühne zurück als „Greyhounds“ – den grauen, ausdauernden Laufhunden.
Warum tanzen sie?
Gleich am Anfang hält Egon Madsen eine Rede, die sich mit technischen Mitteln vervielfacht. Er fragt sich, warum die Tänzer des Abends wieder auf der Bühne stehen, obwohl sie ihre aktive Zeit schon hinter sich haben. Es bleibt das „Warum“ im Raum stehen, von allen Seiten schallt es: „Warum?“ Egon Madsen weiß es auch nicht so genau. Er beantwortet die Frage nicht verbal, sondern tanzt mit fragender Miene.
Lustig geht es weiter im Greyhound, dem amerikanischen Überlandbus, dargestellt mit vier Stühlen als Sitzreihen. Marianne Kruuse, Julia Krämer, Thomas Lempertz und Egon Madsen tanzen auf und zwischen den Stühlen – Hut auf, Hut ab, Stühle verschieben. Sie tanzen, obwohl sie ihre Karrieren schon seit unterschiedlichen Zeiten hinter sich haben. Alle vier waren Solisten im Stuttgarter Ballett. Alle vier übten ihren Beruf mit Begeisterung aus.
Julia Krämer hörte 2004 auf, um mehr Zeit für ihre Kinder zu haben. In ihrem Solotanz – Choreografie von Mauro Bigonzetti – erinnert Sie sich an schöne Zeiten. Auf dem Tisch liegen Fotos, die sie anschaut, aufhebt, ans Herz drückt oder zerreißt. Mit heftigen Emotionen begleitet.
Thomas Lempertz war mit Leib und Seele Solotänzer. Dadurch hatte er keine Zeit mehr für andere Dinge, die ihnen ebenfalls interessierten, zum Beispiel Mode. Er hörte auf, um 2004 ein eigenes Modelabel zu gründen. Im Grunde seines Herzens ist er immer Tänzer geblieben. Das merkt man seinem Solostück an, das Marco Goecke choreographierte. Ein typischer Goecke, bestehend aus Stakkatos von den Fingerspitzen bis zum großen Zeh. Es zeigt einen rastlosen Menschen, der immer mit sich unzufrieden ist. Nach einer Pause mit tiefen Luftholen beginnt es harmonischer, endet jedoch wieder in fahrigen Bewegungen – ein getriebener Mensch. Das Jahrzehnt als Nichttänzer scheint Thomas Lempertz im Dornröschenschlaf verbracht zu haben.
Egon Madsen und Marianne Kruuse haben immer weiter getanzt. Egon Madsen liebt sein Tanzdasein mit all seinen Höhen und Tiefen. Nach eigenen Angaben hat er nie aufgehört zu tanzen. Marianne Kruuse wechselte nach ihrer aktiven Zeit als Solotänzerin zur Ballettlehrerin. Beide tanzen an diesem Abend den von John Neumeier für sie choreographierten Pas de deux von 1968 – also nach fast einem halben Jahrhundert. Sie tanzen zwar nicht mehr auf Spitze, obwohl es sich so anhört – sie trappeln elegant mit den Hacken.
Warum müssen Tänzer immer jung sein?
Eric Gauthier kreierte das humorvolle Finale für die vier Tänzer, die es mit sichtlichem Vergnügen darbieten. Mit den Jahren wechseln die Stärken. Es stellt sich die Frage, ob es noch mehr solcher Choreographien geben könnte; nicht unbedingt auf motorische Höchstleistungen getrimmt, sondern mit dem Bewegungsumfang, der für ältere Tänzer möglich ist. So wie es für Schauspieler Paraderollen gibt, die nur in einem gewissen Alter auszufüllen sind. Auch in der Oper kennt man solche Rollen wie die Marschallin im Rosenkavalier oder Doktor Bartolo im Barbier von Sevilla.
Spannend wird die Fortsetzung dieses Abends. Denn wenn sie nicht gestorben sind, dann tanzen sie immer weiter.
Egon Madsens Greyhounds im Theaterhaus Stuttgart
Besetzung am 2. November 2015:
Tanz-Regie & Künstlerische Leitung: Egon Madsen
Mit Marianne Kruuse, Julia Krämer, Thomas Lempertz und Egon Madsen
Choreographie: Marco Goecke, Mauro Bigonzetti, Eric Gauthier, John Neumeier, Amos Ben-Tal
Bühnenbild & Lichtdesign: Flurin Borg Madsen
Kostüme: Gudrun Schretzmeier
Dramaturgie: Phillip Koban
Choreographie-Assistenz: Milena Twiehaus
Regieassistenz: Bibi Deibler
Bühnenbildassistenz: David Fitzgerald
Technik: Wolf Markgraf
Anfertigung Kostüme: Kerry Rees (Ltg.), Christine Lange, Ramona Wunderlich, Aische Weber
Bühnenbildbau: Marc Dobmaier, Max Hochreiter
Requisite: Beate Mergel
Fotos © Regina Brocke
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