Es gehört zu den erfreulichen Erscheinungen der klassischen Musikszene, wenn sich ein Tandem von professionellen Veranstaltern ein kleines, aber feines Musikfestival leistet, natürlich mit der nötigen finanziellen Unterstützung, ohne die das ganze Unternehmen nicht möglich wäre. Die beiden künstlerischen Leiter sind Norbert Krupp und Felix Treiber, jeder auf seinem Gebiet seit langem eine Konstante im erweiterten Karlsruher Musikleben. Die nach ihrem Veranstaltungsort benannten „Grötzinger Musiktage“ existieren seit 15 Jahren.
Erstmals zu Gast war jetzt das BuschKollegium, ein Ensemble, das vor 12 Jahren von der Klarinettistin Bettina Beigelbeck gegründet wurde. Es widmet sich hauptsächlich dem Kammermusikwerk von Adolf Busch, dem berühmten deutschen Geiger (1891-1952), mit speziellem Fokus auf Werke für Klarinette und Streicher.
Das Programm bot eine zum sommerlichen Abend passende Mischung aus unterhaltender Musik, einer seltenen Bearbeitung von Reger-Liedern für Klarinette und Streichquartett sowie das späte Klarinettenquintett op.115 von Johannes Brahms.
Adolf Busch: „Hausmusik“ – Duett op.26a für Violine und Klarinette
Adolf Busch liebte das Musizieren mit Freunden, die nicht zwingend Profimusiker sein mussten, u.a. auch mit seiner Frau Frieda. Eine dafür typische Komposition ist das „Hausmusik“ – Duett op.26a für Violine und Klarinette. Der gassenhauerische erste Satz verströmt sofort viel tänzerische Spielfreude, deren Heiterkeit man sich kaum entziehen kann. Der zweite ist ein Variationensatz, dessen Thema liedhaft-volkstümlich daherkommt und sich leicht im Gedächtnis des Hörers festsetzt. Bei den Variationen verlässt Busch schnell diese Ebene und erklimmt unerwartet raffinierte harmonische und klangliche Sphären. Das abschließende Rondo Allegretto ist klassisch komponiert, ohne in pure Nachahmung zu verfallen.
Yasushi Ideue – Violine und Bettina Beigelbeck – Klarinette schufen gleich zu Beginn eine anspruchsvolle Atmosphäre, die den weiteren Abend bestimmen sollte. Das Zusammenspiel der klanglich durchaus unterschiedlichen Instrumente war reizvoll im Kontrast und zeigte nicht zuletzt die Vertrautheit der Spieler miteinander sowie der Musik.
Adolf Busch: „Deutsche Tänze“ (Hausmusik op.26c)
Die „Deutschen Tänze“ (Hausmusik op.26c) von Busch sind zunächst ähnlicher Natur, entwickeln aber im weiteren Verlauf eine anspruchsvolle Mischung aus Folklore und raffinierter satztechnisch-harmonischer Verfeinerung. Yasushi Ideue, Bettina Beigelbeck und Bernhard Lörcher (Cello) servieren diesen musikalischen Leckerbissen mit Freude am Zelebrieren von Unerwartetem und hinterlassen die aufmerksamen Zuhörer in einer gehobenen Stimmung.
Max Reger: Vier Lieder aus op.66
Zwischen diesen benachbarten Busch-Werken erklangen vier Lieder aus op.66 von Max Reger in einer Bearbeitung für Klarinette und Streichquartett von Xaver Paul Thoma (*1953). Reger widmete diesen Liedzyklus seiner Frau Elsa zur kirchlichen Trauung 1902 in Bad Boll. Die Idee zu dieser Bearbeitung kam bei den Mitgliedern des BuschKollegiums anlässlich ihres Konzerts in Bad Boll am 25.Januar 2016 auf. Zwei der vier bearbeiteten Lieder erklangen dort als Zugabe. Hier waren nun alle vier das erste Mal regulärer Teil des Programms, also eine teilweise Uraufführung. Die Liedtitel sind „An Dich“, „Die Primeln“, „Du bist mir gut“ sowie „Kindergeschichte“.
Vier Streicher und singende Klarinette
Was diese vier von Charakter und Faktur sehr unterschiedlichen Miniaturen vereint, ist ein reicher harmonischer Satz mit den überraschenden Regerschen Wendungen, hier durch den Streichersatz gegenüber dem Klavier intensiviert und noch farbiger. Dadurch entsteht ein einheitlicheres Klangbild mit der „singenden“ Klarinette. Die vier Streicher Yasushi Ideue und Leonidas Karampoulat, Violine, Fabio Marano, Viola und Bernhard Lörcher, Cello erzeugten mit wunderbar differenzierter Spielweise eine sehr dichte Wiedergabe, während Bettina Beigelbeck anmutig die Rolle der Sängerin in den „Liedern ohne Worte“ übernahm. Eine durchaus überzeugende Fassung, mit gutem Gespür von einem komponierenden Streicher (siehe Adolf Busch!) eingerichtet…
Johannes Brahms: Quintett
Nach der Pause dann Brahms. Richard Mühlfeld, Soloklarinettist der Meininger Hofkapelle war Ideengeber zu dieser und weiteren Kompositionen. Und dieses Quintett ist ein Monolith!
Die Streicher legen eine kurze Einleitung mit wehmütigen, an Schubert erinnernde Seufzer vor bis die Klarinette zu einer sehnsuchtsvollen Melodie im Sechsachteltakt anhebt, die nach kurzer Entwicklung in eine typische Brahmssche Verdichtung mündet. Der moll-Charakter wird beibehalten, bis in der Durchführung ein neuer ruhiger Gedanke, quasi sostenuto, die Szene in mildes Abendlicht taucht. Typisch für Brahms ist, wie er das tiefe Register einsetzt. Man sieht ihn vor sich, wie er mit weit abgestreckter linker Hand am Klavier sitzt…
2. Satz: Anklänge von ungarischer Zigeunermusik
Das Adagio con sordino- ruhig, mit Dämpfer – beginnt zart im piano dolce und verharrt in diesem süßen, melanchonischen Ton ohne jemals sentimental zu werden. Der Mittelteil allerdings ist von ganz andere Natur: er ist rhapsodisch und klingt stark nach ungarischer Zigeunermusik. Vielleicht eine späte Rückbesinnung an die E.T.A. Hoffmannsche Figur des Kapellmeisters Kreisler, mit dem sich der junge Brahms halb ernsthaft, halb im Scherz gleichgesetzt hat. Der Satz endet himmlisch entrückt wieder im piano dolce.
3. Satz: „Lächeln unter Tränen“
Den dritten Satz, ein Andantino, eröffnet die Klarinette mit einer „unendlichen“ Melodie, die man vielleicht bildhaft mit „Lächeln unter Tränen“ beschreiben könnte. Der Mittelteil trägt die Spielanweisung: Presto non assai, ma con sentimento – nicht zu lebhaft, aber mit Gefühl – zusätzlich „mezza voce“ also mit halber Stimme. Wenn man bedenkt, wie sehr sich Brahms gescheut hat, präzisere Anweisungen in seine Partituren zu schreiben, so ist das sehr bemerkenswert. Dieser scherzoartige, schnelle Abschnitt verströmt etwas mendelssohnsche Sommernachtstraum-Leichtigkeit.
4. Satz: Temperamentvoll und farbig
Das Thema des vierten Satzes erinnert an das Kopfthema des ersten, ist aber des tänzerischen 6/8 Charakters beraubt und besitzt mehr Ernsthaftigkeit bis hin zu einer latent mitschwingenden Schwermütigkeit. In den Variationen glaubt man Figuren aus der „commedia dell`arte“ (die venezianischen Figuren mit ihrem typischen Charakter)
zu sehen, so temperamentvoll und farbig ist die Musik, bis die Bratsche in einen Dreiertakt verfällt und den Schluss einleitet, der das Anfangsthema des ersten Satzes aufgreift und wieder im 6/8 steht. Auch dieser Satz endet, wie alle anderen, leise.
Bettina Beigelbeck und den vier Streichern gelang eine kongeniale Interpretation dieses so tiefen Werks.
Man spürte die Hingabe und das Verständnis für diese außerordentlich intensive Musik. Eine absolut uneitle, nur der Musik dienende Ensembleleistung, die aus der Erfahrung langjähriger gemeinsamer Arbeit gespeist ist.
Die kleine, feine Zuhörerschar verließ die schöne alte evangelische Grötzinger Kirche reich beschenkt. Eine Sternstunde!
Über den Autor
Wolfgang Wahl, Jahrgang 1948, ist ein im Ruhestand lebender Geiger, Bratscher und Geigenbauer.
Er war 40 Jahre Mitglied der 1. Geigengruppe des SWR-Sinfonieorchesters Baden-Baden und Freiburg. Als Bratscher spielte er in Ensembles wie dem Ensemble 13, wo er viel zeitgenössische Musik (ur-)aufgeführt hat. Im Barockensemble „Parnassi musici“ brachte er seine beiden Instrumente auch in historischer Version zum Erklingen.
Kammermusikspiel war und ist ihm wichtig. Er beschäftigt sich weiterhin aktiv mit Musik, coacht gerne junge MusikerInnen oder schreibt auf, wie sich seine Arbeitsweise im Alter verändert.
Als gelernter Geigenbauer hat er eine weitere Perspektive auf Streichinstrumente und steht in regem Austausch mit jüngeren neubautreibenden Geigenbauern.
In den letzten Jahren erprobt er sich zudem als Moderator von Konzerten und schreibt gelegentlich für Fachmagazine.
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